Der Zaubergeiger Settembrini
Hörstück für Kinder und Erwachsene
Martin Burckardt/ Johannes Schmölling
1989, CD (1994): Deutsche Grammophon 445 367-2
DELETED!
1. Wie der Zaubergeiger seine Geige verliert 5:19
2. Wie ihn ein gräßlicher Ohrwurm zu piesacken beginnt 3:26
3. Wie Settembrini zu einem Ohrenarzt geht, aber der weiß auch nichtwas tun (außer natürlich, daß er seinen Krankenschein nimmt)5:40
4.Wie Settembrini in einen dunklen Wald hineingerät und der Ohrwurmsagt, fürchte dich nicht (aber ob das hilft?)4:58
5.Wie sie in eine Höhle hinabsteigen und lauter unterirdische Sälesich öffnen5:48
6.Wie Settembrini an einem anderen Ort aufwacht8:55
7.Wie sich der alte Bibliothekar von ihm verabschiedet4:20
8.Wie Settembrini zurück in die Stadt kommt5:00
9.Wie er seine Geige wiederfindet4:01
Der Erzähler.....................Gerd Wameling
Settembrini..........................Torsten Sense
Der Ohrwurm...........................Max Goldt
Der Arzt........................Wolfgang Rennert
Der Bibliothekar.......Walter Schmidinger
Text: Martin Burckardt
Komposition: Johannes Schmölling
Realisation: Martin Burckardt Johannes Schmölling
Aufnahme: Berlin 1989
Es war einmal ein Zaubergeiger, und der hieß Settembrini. Er war sehr berühmt, und wo immer er auftrat, strömten die Leute in seine Konzerte und jubelten ihm zu. Die Damen japsten ein bißchen und fielen in Ohnmacht, und die Herren, ja selbst die allerhartgesottensten Männer, drückten sich, ganz heimlich eine Träne weg, so schön spielte er. Natürlich besaß der Zaubergeiger Settembrini auch eine Zaubergeige, und weil es eine Zaubergeige war, hatte sie nicht nur eine wunderbare Stimme, sondern konnte auch sprechen. Und so unterhielten sie sich, wenn niemand dabei war und ihnen zuhören konnte, über Politik oder über das Wetter, und Settembrini erzählte ihr, ob es schneite oder regnete oder ob die Sonne schien. Denn weil sie eine Geige war, und noch dazu eine Zaubergeige, war sie äußerst wetterempfindlich und durfte ihren Geigenkasten niemals verlassen. Vor vielen, vielen Jahren, als sein Großvater noch gelebt hatte, hatte Settembrini die Geige geerbt und versprochen, gut auf sie aufzupassen. Und aus diesem Grund war auch ihr Geigenkasten mit Samt ausgelegt, und damit sie sich, wenn sie schon nicht ins Freie hinaus durfte, ein wenig wohler fühlen konnte darin, streute Settembrini hin und wieder auch ein paar Rosenblätter hinein. Sie vertrugen sich gut, so gut, daß Settembrini keinen anderen Menschen brauchte. Aber je berühmter er wurde, desto mehr ärgerte es ihn, daß er all diesen Ruhm nicht sich selbst, sondern seiner Zaubergeige verdankte; und so geschah es häufiger, daß er mit ihr zu streiten begann. Eines Abends also stritten sie miteinander und Settembrini, der schon ziemlich betrunken war, sagte zu ihr, daß sie ein ganz wertloses Stück sei und ohne ihn, den Zaubergeiger Settembrini, nicht einmal das Holz wert, aus dem sie gebaut sei.
Am Tag darauf war wieder ein Konzert. Settembrini stand auf der Bühne, das Orchester spielte, und der Dirigent machte ein Zeichen, daß er anfangen solle - aber als Settembrini den Geigenbogen ansetzte, gab die Zaubergeige bloß ein verschnupftes Krächzen von sich, und das war alles. Der Dirigent fuchtelte mit den Armen, das Orchester stockte und geriet durcheinander, und schließlich hörte es ganz auf zu spielen. Die Leute kicherten zunächst ein bißchen, dann begannen sie zu lachen und schließlich pfiffen sie nur noch und beschimpften Settembrini - und so ließ er beschämt die Schultern hängen, schlich sich von der Bühne und von diesem Tag an hatte niemand mehr etwas von Settembrini, dem Zaubergeiger gehört. Und eigentlich könnte die Geschichte hier schon zu Ende sein. Und doch fängt sie erst an.

Johannes Schmölling, 1950 im oldenburgischen Lohne geboren, wird dem einen oder anderen aus der Musikergruppe Tangerine Dream vertraut sein, der er nach seiner Arbeit als Tonmeister an der Berliner Schaubühne in den 80er Jahren mit zu ihrem musikalischen Profil verhalf und anschließend mit seiner Solokarriere 1986 die ihm wichtigen musikalischen Projekte verwirklichen konnte. Zahlreiche Filmmusiken und Schallplatten/ CDs entstanden. Daß er sich nun ausgerechnet einem Märchen verschrieben hat, mag sicher mit seinem siebenjährigen Sohn Jonas zusammenhängen, aber vielleicht auch damit, daß seinen Klängen und Musiken immer schon ein Zauber, und wenn wir so wollen, etwas Märchenhaftes innewohnt. »Wenn man die Augen schließt, verbindet sich mit jedem Geräsch sogleich die Vorstellung einer Landschaft, einer Umgebung« - sagt Johannes Schmölling in seiner CD »White out« und so ist es auch diesmal: ein berauschender Gang durch die Bibliothek der Klänge.

Martin Burckhardt, 1957 in Fulda geboren, lebt als freier Autor in Berlin. Neben zahlreichen Hörstücken und Aufsätzen ist er mit seiner »Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung« (Campus Verlag) besonders als Buchautor in die Öffentlichkeit getreten. Kennzeichnend für sein künstlerisches Schaffen ist »von Anbeginn an die Vorstellung, daß der Begriff des Autors um all das zu erweitern ist, was ihm an Schrift zugänglich ist« (M.B.), also um jenen Zwischenraum, wo sich die Grenzen von Sprache und Klängen vermischen und zu einer neuen Einheit zusammenkommen. Diese Einheit ist es, die auch in dem Zaubergeiger Settembrini erreicht ist. Sein kleiner Sohn Phillipp wa die Inspiration dafür, ein Märchen zu schreiben, aber dahinter verbirgt sich auch der Wunsch, von seinem Denken auf eine andere, und doch so leichte Weise zu erzählen ... kinderleicht.

© 1998 - 2006 by Johannes Schmoelling